Abwarten kann schlimmer als Corona sein

| Herzchirurgie 

Soll ich? Oder soll ich nicht? Ist ein Krankenhausaufenthalt in Corona-Zeiten gefährlich? Dazu nimmt Dr. Henning Lausberg, Chefarzt der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie an der Klinikum Bayreuth GmbH Stellung.

Die Corona-Lage spitzt sich zu. Und doch können auch Ihre Patienten nicht ewig warten. Was raten Sie?
Dr. Lausberg: Jeder Patient, jede Situation ist anders. Also kann es nur Einzelfallentscheidungen geben. Bei kardiovaskulären Erkrankungen muss man immer von der individuellen Risikokonstellation ausgehen und diese im Kontext mit Corona beurteilen. Die Maßnahmen, die die Klinikum Bayreuth GmbH getroffen hat, minimieren das Risiko einer relevanten klinischen Infektion. Ich denke,  die meisten kardiovaskulären Operationen sollten nicht relevant zeitlich verschoben werden, sondern stattfinden. Denn aus der Herzerkrankung selbst entsteht ein Risiko, das meiner Meinung nach oftmals größer ist, als das Risiko sich im Klinikum eine Corona-Infektion zuzuziehen.


Wir erleben gerade die zweite Welle. Gibt es aus der ersten Welle Erfahrungswerte, wie sich verschobene Operationen oder Behandlungen ausgewirkt haben?
Dr. Lausberg: Ich kenne dazu keine Studien. Allerdings gibt es Hinweise von Experten. Sie sagen, dass die Dynamik von Herz-Kreislauferkrankungen ein eigenes Risiko birgt. Und es gab Stimmen im Frühjahr, die darauf hingewiesen haben, nicht nur Corona zu denken, sondern auch insbesondere die gefährlichen Herzkranzerkrankungen nicht zu vergessen. Was nachweislich passiert ist, ist eine Verschiebung der Patientenströme durch die unterschiedlichen Versorgungsaufträge der Kliniken. Patienten haben sich an Zentren gewendet, die auf kardiovaskuläre Erkrankungen ausgerichtet sind und keinen Versorgungsauftrag im Sinne eines Landes-, Kreis- oder Stadtkrankenhaus haben. Dementsprechend kam dies Herzzentren zugute, die wenig Rücksicht auf die Corona-Situation nehmen müssen. Letzten Endes hat es eine Abwanderung von Patienten gegeben.

 

"Wir bieten jedem Patienten, der unsicher ist,

eine ambulante Vorstellung im Klinikum an."

Dr. Henning Lausberg


Ganz konkret: Mit wem bespricht sich ein Herzpatient, wenn es um die Risikoabwägung Eingriff oder Corona-Vorsicht geht?
Dr. Lausberg: Zuerst mit dem Hausarzt, denn der Hausarzt kennt seinen Patienten seit Jahren und auch über verschiedene Faktoren Bescheid weiß, die abseits medizinischer Fragestellungen von Bedeutung sind. Die familiäre Situation zum Beispiel, die soziale Stellung  oder mögliche berufliche Auswirkungen. Wichtig ist es aber ebenso, diese Frage mit dem Experten vor Ort anzusprechen. Denn er ist derjenige, der das individuelle Risiko des Patienten beurteilen kann. Wir bieten jedem Patienten, der unsicher ist, eine ambulante Vorstellung hier im Klinikum an. Das nimmt eine ganze Reihe von Patienten bereits wahr. Wir stellen dabei fest, dass die Sorge vor einer Covid-Infektion im Krankenhaus, derzeit noch nicht groß ist. Das kann sich bei einer anderen Infektionslage allerdings ändern.


Sie sind seit August Chefarzt der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie. Sie haben also noch etwas den Blick von außen. Wie bewerten Sie die Behandlungsqualität der Klinikum Bayreuth GmbH?
Dr. Lausberg: In dem Bereich, den ich überblicke, ist die Behandlungsqualität in jedem Bereich sehr hoch. Die Standards entsprechen denen meiner bisherigen Wirkungsstätten – einschließlich verschiedener Universitätskliniken. Ich bin sehr froh, dass ich meinen Fokus nicht auf diesen Punkt legen muss.


Ihren Fokus, so haben Sie bei Ihrer Vorstellung gesagt, möchten Sie auch auf eine Modernisierung der Herz- und Thoraxchirurgie am Klinikum Bayreuth richten. Was meinen Sie damit konkret und welchen Nutzen soll dies für Patienten haben?

Dr. Lausberg: Mir geht es darum, verschiedene technische Nuancen zu adaptieren, um große Zugangswege zu verkleinern. Das bedeutet Wundflächen zu verkleinern, die Erholungswahrscheinlichkeit und die Erholungsgeschwindigkeit beim Patienten zu steigern und damit schmerzbedingte Einschränkungen zu verringern. Damit kann der Krankenhausaufenthalt und der Aufenthalt auf der Intensivstation verkürzt werden. Im Nebeneffekt können wir im Klinikum Prozesse verbessern und Ressourcen besser nutzen – zum Beispiel die knappen Ressourcen auf den Intensivstationen, was auch im Hinblick auf die aktuelle Pandemiesituation wünschenswert wäre. Der zweite Punkt ist, dass verschiedene technische Neuerungen eingeführt werden, die nicht für eine große Patientengruppe in Frage kommen, aber doch unsere Behandlungsmöglichkeiten ausweiten. Dabei geht es im Wesentlichen um die Rekonstruktion von Herzklappen. Damit kann man Patienten Zeit und Lebensqualität schenken.

Machen wir mal einen Zeitsprung nach vorne. Wie sieht die Herzchirurgie in fünf Jahren aus?
Dr. Lausberg:  Ich habe in den vergangenen 25 Jahren einen deutlichen Trend zu minimalinvasiven Verfahren, zu kathetergestützten Techniken. Meiner Meinung nach wird es in der Zukunft zwei Arten von Herzspezialisten geben. Die einen, die ihren Fokus auf die interventionellen, kathetergestützen Techniken legen. Und die anderen, die den Fokus von der operativen Seite auf die Erkrankung legen. Interessanterweise erleben wir es heute bereits, dass der Herzchirurg gefordert ist, wenn Komplikationen der interventionellen Techniken auftreten. In den nächsten fünf, vielleicht zehn Jahren werden wir eine Trendwende dahin sehen, dass der Herzchirurg immer mehr mit Komplikationen anderer Techniken betraut sein wird, die dann aber ein hohes Maß an Expertise und Erfahrung erfordern. An dieser Stelle sehe ich ein Dilemma: Wir werden mehr Expertise und Erfahrung von Herzchirurgen brauchen, können den jungen Kolleginnen und Kollegen aber nicht die Möglichkeit geben, sich diese zu holen.


Die Fragen stellte Frank Schmälzle.

 

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Dr. Henning Lausberg