Beatmungsgeräte gefährlich? Nein!

Vereinfachung und Verallgemeinerung sind oft hilfreich beim Vermitteln komplexer Zusammenhänge, auch in der Medizin und insbesondere, wenn medizinische Laien angesprochen werden. Weniger ist mehr. Die aktuell geführte Diskussion über Fluch und Segen der Beatmungstherapie bei an Covid-19 erkrankten Patienten greift jedoch deutlich zu kurz und kann der Komplexität einer modernen Intensivmedizin kaum gerecht werden.

Die Fortschritte sind offensichtlich

Dass maschinelle Beatmung die Lunge schädigen kann, ist Basiswissen eines jeden Intensivmediziners. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigen sich Forscher und Kliniker mit der Etablierung möglichst lungenschonender Beatmungsverfahren, um diese Schädigungen möglichst zu minimieren oder ganz zu verhindern. Mit großem Erfolg, die Sterblichkeit des akuten Lungenversagens ganz unterschiedlicher Ursache ist beispielsweise in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gesunken. Wesentliche Kenngrößen der Beatmung auf der Intensivstation werden engmaschig überwacht und ggf. korrigiert, und zwar rund um die Uhr. Die Optimierung der Beatmungstherapie inkl. der Reduktion ihrer Nebenwirkungen gehört zu den großen Errungenschaften der modernen Intensivmedizin. Obwohl die zugrundeliegenden Regeln zunächst gleichermaßen für alle Patienten mit akutem Lungenversagen gelten, ist die Entscheidung über Beginn, Ausmaß und Dauer einer Beatmungstherapie stets eine Entscheidung für den individuellen Patienten. Die Schwere der Erkrankung fließt hier ebenso in die Entscheidungsfindung ein wie bestehende Vorerkrankungen, stattgehabte Operationen oder nicht zuletzt der individuelle Patientenwille. Covid-19 macht hier keine Ausnahme.

Beatmung gibt der Lunge eine Chance

Es ist korrekt, dass in der frühen Phase der Covid-Pandemie von einer nichtinvasiven Beatmung mittels Maske oder Helm aus Gründen des Mitarbeiterschutzes (höchstes Infektionsrisiko durch Freisetzung von Aerosolen) eher abgeraten wurde. Diese generelle Empfehlung dürfte sich tatsächlich so nicht aufrechterhalten lassen, zahlreiche Patienten profitieren von dieser Art der Atemunterstützung und benötigen auch im weiteren Verlauf keine invasive Beatmung. Leider trifft das nicht für alle unsere Patienten zu. Eine relevante Gruppe ist durch Virus und Vorerkrankungen derart geschwächt und die Lunge nachweislich derart geschädigt, dass eine Spontanatmung nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Das Atemmuster dieser Patienten ist gekennzeichnet von Schnellatmigkeit gefolgt von rascher körperlicher Erschöpfung. Dieses spontane Atemmuster ist im Übrigen alles andere als lungenschonend. Erst die maschinelle Beatmung und ggf. ein Lungenersatzverfahren außerhalb des Körpers erlaubt überhaupt eine lungenschonende Behandlung mit dem Ziel, dass sich Lungengewebe erholt und andere therapeutische Maßnahmen wirken können.

Schädigung in erster Linie bei langer Dauer

Es ist ebenfalls korrekt, dass nicht alle beatmeten Patienten überleben. Das gilt unabhängig von Covid-19 für alle schwer und schwerst erkrankten Patienten auf der Intensivstation. Die Todesursachen gerade bei Covid-19 Patienten sind vielfältig, Lungenembolien gehören ebenso dazu wie das Versagen weiterer Organe wie Niere und Leber. Welchen Verlauf einzelne Patienten nehmen, lässt sich nicht immer im Einzelnen vorhersagen. Mit großer Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass es nicht die Beatmung ist, die so schnell zum Tod führt oder die Patienten in der Akutphase schädigt. Sogenannte beatmungsassoziierte Schädigungen beziehen sich in erster Linie auf Langzeitverläufe und treten typischerweise – wenn überhaupt – nach mehreren Wochen oder Monaten auf.

Der Weg in die Irre

Fallberichte, nach denen Covid-19 Patienten auf der Intensivstation auch ohne Beatmungstherapie überlebt haben, sind sehr erfreulich und spiegeln die Erfahrungen weltweit wider, auch in Bayreuth. Daraus abzuleiten, dass die Beatmungstherapie grundsätzlich schädlich ist, ist falsch und war ganz gewiss auch nicht Intension der Autoren dieser Fallberichte. Vereinfachung und Verallgemeinerung können hier in die Irre führen. Weniger ist in diesem Fall zu wenig. Die Beatmungstherapie ist eine wesentliche Säule in der Intensivmedizin, bei Covid-19 Patienten genauso wie bei allen anderen Patienten, die zum Atmen selbst nicht mehr in der Lage sind. Genauso wichtig und für das Überleben essentiell sind zahllose andere Therapiestrategien und vor allem – noch vor allen Gerätschaften und Maschinen – das pflegerische und ärztliche Personal, das sich rund um die Uhr intensiv und mit hoher menschlicher und fachlicher Kompetenz um unsere Patienten kümmert.

Kaum vergessen sein dürfte auch der Fall des 72jährigen italienischen Priesters Giuseppe Berardelli aus der Lombardei, der auf „sein“ Beatmungsgerät zugunsten eines jüngeren Patienten verzichtete – und kurze Zeit später starb. Hätte er mit Beatmungstherapie überlebt? Wir wissen es nicht – es ist nur ein Fallbericht.