Neue Bedrohungslagen: Wie sich Rettungsdienst und Klinikum Bayreuth GmbH vorbereiten

| Notaufnahme Anästhesie und Intensivmedizin 

Terroranschläge in Paris und Brüssel, in Nizza und vor wenigen Tagen in Berlin. Amokläufe in München und Ansbach. Neue Bedrohungslagen sind auch in Deutschland Realität geworden. „Wir wollen keine Panik schüren. Aber auch wenn das Risiko eines Anschlags in unserer Region derzeit eher niedrig erscheint, sollten wir vorbereitet sein“, sagt Dr. Stefan Eigl, Anästhesist an der Klinikum Bayreuth GmbH und Ärztlicher Leiter Rettungsdienst im Rettungsdienstbereich Bayreuth/Kulmbach. Der Rettungsdienst und die Klinikum Bayreuth GmbH haben ihren Alarm- und Einsatzplan für Großschadenslagen aktualisiert.

Wenn die Polizei  Täter verfolgt oder neue Anschlägen verhindert, bestimmt  das das öffentliche Interesses. Alle, die im Ernstfall an der Rettungskette beteiligt sind, stehen indes vor einer anderen Herausforderung:  Sie müssen adäquate Versorgung einer Vielzahl an Leib und Seele verwundeten Opfer gewährleisten. „Das beginnt bei  lebensrettenden Sofortmaßnahmen der Ersthelfer, geht weiter über die Versorgung und Stabilisierung durch den Rettungsdienst bis hin zur Behandlung in geeigneten Kliniken und der psychologischen Betreuung von Betroffenen und Helfern“, sagt Dr. Stefan Eigl.

Neues Konzept des Innenministeriums greift

Eine der Aufgaben des Ärztlichen Leiters Rettungsdienst ist die Optimierung der Schnittstelle zwischen präklinischer und klinischer Versorgung der Patienten. Das heißt: Im Ernstfall müssen die Abläufe, die zwischen dem Einsatzort und dem Krankenhaus liegen, abgestimmt verlaufen.  Für den Rettungsdienst hat das Bayerische Innenministerium im Sommer ein Konzept mit Handlungsempfehlungen zur  Bewältigung von besonderen Einsatzlagen vorgestellt. Die Ausstattung der Rettungsfahrzeuge ist mittlerweile sowohl technisch als auch medikamentös speziell für solche Situationen erweitert worden. Zum Beispiel sind die Besatzungen der Rettungsfahrzeuge mit speziellen Verbandsstoffen und Abbindesystemen zum Stillen von bedrohlichen Blutungen ausgerüstet.

Die Vorlaufzeit für Krankenhäuser wird kürzer

Terroranschläge und Amokläufe unterscheiden sich nach Eigls Angaben grundlegend von anderen Großschadensereignissen wie Unfällen oder Bränden. Bei Terrorlagen mit nicht absehbarer Entwicklung und unklarer Sicherheitssituation für die Helfer, ist es Aufgabe der Polizei, die Verletzten schnell aus dem Gefahrenbereich zu retten und sie in einer möglichst sicheren Zone an den Rettungsdienst zu übergeben. Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes  bringen die Verletzten nach erster Behandlung sofort in die Klinik. Weil eine Versorgung der Patienten am Ort des Geschehens bei anhaltender Bedrohungslage kurz gehalten werden muss, verkürzt sich die Vorlaufzeit der Klinik.

Bayreuth hat nicht die medizinische Infrastruktur einer Großstadt

Eigl hat die Berichterstattung über die medizinische Versorgung nach den Attentaten  in Paris und Berlin verfolgt. In Paris hatte der Rettungsdienst 260 Patienten transportiert, 46  Verletzte suchten selbst ein Krankenhaus auf. „In den zahlreichen Krankenhäusern der französischen Hauptstadt konnten in der Nacht des Attentates problemlos 35 OP-Teams bereitgestellt werden“, sagt Eigl. Nach dem jüngsten Attentat in Berlin hatte die Charite internen Katastrophenalarm ausgelöst, 13 Schwerverletzte aufgenommen und kurzfristig 15 Operationssäle geöffnet. In Berlin konnten die Patienten  auf insgesamt 20 Kliniken verteilt werden.  „In Ansbach hätte sich die Situation bei vielen Verletzten vermutlich ganz anders dargestellt. Und auch Bayreuth kann nicht auf die quantitative medizinische Infrastruktur einer Großstadt zurückgreifen“, sagt Eigl.

Klinikum Bayreuth GmbH reagierte bereits nach Attentat von Paris

Nach dem Attentat von Paris im November 2015 haben sich der Chefarzt und der Leitende Oberarzt der  Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin der  Klinikum Bayreuth GmbH, Prof. Dr. Jörg Reutershan und  Dr. Sebastian Ortlieb,  zusammen mit dem Leitungsteam der Notaufnahme, Florian Knorr, Dr. Markus Doreth und Martin Horn, sowie Eigl als Ärztlichem Leiter Rettungsdienst mehrfach in einer Arbeitsgruppe getroffen, um den  Alarm- und Einsatzplanplan der Klinik für interne und externe Schadenslagen zu aktualisieren und auf mögliche Szenarien vorbereitet zu sein.

Dies sind die Eckpunkte des Plans:

•    Zeitnah steht ausreichend Personal, Material und räumliche Kapazität zur Verfügung, um  Patienten ausreichend versorgen zu können. Die Zahl der Blutkonserven, der starken Schmerzmittel, der Wundversorgungssets und der mobilen Beatmungsgeräte reichen aus, um die erste Welle von Schwerverletzten zu versorgen.

•     Bereits bei Anlieferung der Patienten in der Fahrzeughalle vor der Notaufnahme nimmt ein erfahrener Notfallmediziner eine Triage (Sichtung) vor. In der Regel wird dies der diensthabende Oberarzt der Anästhesie sein. Er schätzt das Verletzungsausmaß und die potenzielle Lebensbedrohung der Verletzten ein und steuert die Priorität der weiteren Versorgung.  

•    Jeder Schwerverletzte soll durch ein Team aus Anästhesist, Chirurg und Anästhesiepflegekraft kontinuierlich betreut werden. Die Alarmierung des dienstfreien Personals wird über einen automatisierten Anruf erfolgen, wobei die Erfahrungen nach dem Amoklauf in München gezeigt haben, dass viele Mitarbeiter spontan zur Arbeitsstelle kommen, wenn sie von dem Geschehen erfahren. Eine Probealarmierung der ärztlichen Mitarbeiter der Anästhesie der Klinikum Bayrteuth GmbH an einem Samstagabend hat gezeigt, dass fast die Hälfte  des Teams erreicht wurde und zeitnah in die Klinik hätte kommen können.  

•    Die Verfügbarkeit  von in der Anfangsphase häufig benötigten Schmerzmitteln, Gerinnungspräparaten und Blutkonserven, ebenso wie von Material zur Wundversorgung wird regelmäßig überprüft und angepasst. Dies geschieht zweimal im Jahr.

•    Die Schockraumkapazität,  die die gleichzeitige Versorgung von  beatmungspflichtigen Schwer- und Schwerstverletzten gewährleistet, kann und  muss im Großschadensfall  von üblicherweise zwei auf vier Schockräume erweitert werden.

•    Um freie Plätze im Aufwachraum und auf den Intensivstationen zu schaffen, werden stabile Patienten verlegt, nicht dringliche Operationen zunächst verschoben.

•    Um die Notaufnahme räumlich und personell zu entlasten, müssen weniger dringliche Behandlungen und Routinemaßnahmen in andere Bereiche des Klinikums verlagert werden.

•    Das Klinikum steht über einen Abschnittsleiter  in der Notaufnahme im Ernstfall in telefonischen Kontakt zur Integrierten Leitstelle, um ständig über den Patientenstrom und die  Verletzungsmuster informiert zu sein.

•    Bereits an der Schadensstelle versuchen Kräfte der Sanitätseinsatzleitung, die Patienten auf Kliniken der nahen und auch ferneren Umgebung zu verteilen, idealerweise durch den Einsatz von Hubschraubern , wenn dies die Wetterlage zulässt.  Zu den Partnern gehören die Krankenhäuser Kulmbach, Nürnberg-Süd, Erlangen, Weiden, Bamberg.  Im Gegenzug stünde auch die Klinikum Bayreuth GmbH bereit, wenn andere Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Diese gegenseitige Unterstützung wird bei anderen größeren Ereignissen bereits praktiziert.

•    An die Bevölkerung ergeht die Bitte, in einer solchen Ausnahmesituation das Krankenhaus nur bei schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen aufzusuchen. Gleichzeitig bitten die Retter alle Bürger, ihre oft schon lange zurückliegenden Erste-Hilfe-Kenntnisse in einem Kurs aufzufrischen. In Paris und Brüssel haben Ersthelfer nachweislich viele Leben gerettet.

 

Eine derartige Lage stellt für alle Beteiligten innerhalb und außerhalb des Krankenhauses eine Ausnahmesituation dar, sagt Eigl. Sie sollte deshalb sowohl geplant und vorbereitet, als auch zusammen mit der Integrierten Leitstelle und den Hilfsorganisationen geübt werden. „Im Ernstfall ist die Zusammenarbeit von allen Beteiligten unbedingt notwendig.“ Die Arbeitsgruppe „Massenanfall von Notfallpatienten“ am Klinikum Bayreuth wird auch weiterhin die Erfahrungen aus den Kliniken in anderen  Städte in das eigene Konzept einfließen lassen, um im Ernstfall – egal ob Busunglück oder Terroranschlag -  professionell reagieren zu können.

 

 

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Ein Detail aus einem großen Konzept: Dr. Stefan Eigl zeigt ein professionelles Abbindesystem, mit dem starke Blutungen gestoppt werden können. Es gehört inzwischen zur Ausrüstung in allen Rettungsfahrzeugen und käme nur bei Großschadenslagen mit vielen Verletzten zum Einsatz. Konkret: Bei Amokläufen oder Terroranschlägen.