Peter Maj verarbeitet sein Trauma

Erstellt von Frank Schmälzle, Leiter Unternehmenskommunikation || Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Traumazentrum 

Ein junger Mann kehrt als Pflegepraktikant dorthin zurück, wo er nach einem schweren Unfall wieder gesund wurde.

Das ist die Geschichte von Peter Maj. Die Geschichte eines jungen Mannes, der nach Jahren des Leidens sein Leben in die Reihe kriegt. Dass er gerade ein Praktikum auf Pflegestationen der Klinikum Bayreuth GmbH absolviert hat, gehört dazu. Peter Maj verarbeitet sein Trauma.

In der Nacht des 2. Juni 2019, exakt um 0.52 Uhr, verändert sich alles. Peter war nach Deutschland, nach Bayreuth gekommen, um hier zu studieren. Um seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Zuhause in Budapest hatte er eine deutsche Schule besucht, das Abitur nach baden-württembergischem Standard abgelegt. In Deutschland will er sich ein gutes Leben aufbauen. Bayreuth kennt er von einem Besuch. Die Mieten sind bezahlbar, die Uni ist gut, die Stadt gefällt ihm. Er zieht hierher. Doch so geradlinig wie in all den Jahren zuvor, verläuft sein Lebensweg jetzt nicht mehr. „Ich war mit der neuen Situation überfordert“, sagt der heute 25-Jährige. Er feiert zu viel und studiert zu wenig. Eben auch in der Nacht des 2. Juni 2019.

Dem Tod ganz nahe

Den Abend beginnt Peter mit seinen Kommilitonen auf dem Uni-Campus, es ist RW-Party. Peter hat Spaß, tanzt und trinkt. Irgendwann gegen Mitternacht beschließt er, mit seinem brandneuen und ziemlich teuren Mountainbike in die Innenstadt zu fahren, dort noch ein wenig weiter zu feiern. Wäre er eine Sekunde schneller gewesen, hätte er die paar Zentimeter geschafft - der Kleintransporter, der mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war, hätte ihn nicht erwischt. Er trifft ihn mit fast 80 Stundenkilometern. Peter fliegt durch die Luft. Zehn Meter weit und landet auf einem schmalen Grünstreifen. Ein Aufprall auf Asphalt wäre wohl tödlich gewesen. Heute sagt Peter: „Ich hatte so viel Glück, dass es keines sein kann.“

Polytrauma. Der junge Mann ist schwerstverletzt, am rechten Unterschenkel, am Becken und am Kopf. Sanitäter intubieren ihn, bringen ihn ins Klinikum. Ärztinnen und Ärzte retten sein Leben und wissen, welche Schmerzen Peter haben muss. Sie versetzen ihn in ein künstliches Koma. „Anders hätte ich das wohl nicht ausgehalten.“ Einen Monat lang bekommt Peter auf der Intensivstation 18 im Klinikum so gut wie nichts mit. Ein weiterer Monat vergeht, bis er außer Lebensgefahr ist. Dann bekommt er eine Lungenembolie, auch die übersteht er mit Hilfe der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Als er die Intensivstation verlassen darf, ist er mindestens so dankbar wie erleichtert. Mit viel Unterstützung und Zuwendung hat er es geschafft.

Was sich verändert hat

Die Frührehabilitation absolviert Peter an der Klinik Hohe Warte. Dort lernt er eine Patientin kennen, die an einem Hirntumor leidet. Sie reden viel, verstehen sich gut. Sie geben sich Halt und Hoffnung, eine tiefe Freundschaft entsteht. Peter erzählt ihr von dem Unfall und auch von den Folgen, die ihn immer noch und vielleicht für immer beeinträchtigen. Auf dem rechten Auge hat er nur noch 50 Prozent Sehkraft. Den Unterschenkel hält eine etwa zehn Zentimeter lange Platte zusammen. Und eine der drei schweren Kopfverletzungen hat seine Wahrnehmung verändert. „Bei mir kommen Eindrücke von außen viel intensiver an“, sagt er. Das ist anstrengend, manchmal reagiert Peter deshalb impulsiv. „Ich kann ein Elefant im Porzellanladen sein.“ Im Nacken trägt er ein Tattoo, ein schlankes, schwarzes Kreuz. Seine Mit-Patientin hat dasselbe, es ist das Zeichen ihrer Verbundenheit, sie hat ihm viel Motivation gegeben. Das Tattoo steht für das Kreuz, das sie zu tragen haben.

Verzweifelt ist Peter allerdings keineswegs. Nach der langen Zeit im Krankenhaus war er schwach. Heute ist er fitter als vor dem Unfall, er trainiert hart und regelmäßig. Er meditiert viel, hat damit „ein System gefunden, wie ich meine innere Sicht behalte und meine Schatten nicht zu groß werden“.  Er studiert nicht mehr Wirtschaft, er will jetzt Lehrer werden. Die für ihn schwersten Studienmodule hat er in ein Semester gepackt und er hat sie alle geschafft. Er sagt: „Der Unfall hat mein Leben schrecklich schön gemacht.“

Unter die Haut

Man kann es auf seiner Haut ablesen, was Peter mit diesem Satz meint. Auf die Unterarme hat er sich zwei Jahreszahlen tätowieren lassen. 1998, sein Geburtsjahr. „Und 2019 für das Jahr meiner zweiten Geburt.“ An seinem Hals sieht man noch die Stelle, an der der Beatmungsschlauch lag. „Bedenke Deine Sterblichkeit“ ist dort in die Haut geschrieben, in lateinischer Sprache und so kunstvoll, dass es auch „Denke an die Liebe“ heißen kann. Das jüngste Tattoo hat sich Peter auf den Oberarm stechen lassen. Faith. Glaube? Es könne kein Glück mehr gewesen sein, das er bei und nach dem Unfall gehabt habe. Für ihn steckt mehr dahinter: „Es gibt eine höhere Macht.“ Dankbarkeit ist eines seiner größten Gefühle. Dafür, dass er überlebt hat. Dafür, dass sein Leben trotz der bleibenden Unfallfolgen ein besseres ist. Dafür, dass er Ziele hat.

Das Praktikum am Klinikum und an der Hohen Warte bringt ihn einem dieser Ziele näher. „Es hat einen ganz pragmatischen Grund, warum ich hier bin“, sagt Peter. Wenn er Lehrer werden will, muss er ein achtwöchiges Betriebspraktikum nachweisen. Das aber ist nicht das Wichtigste. Peter wollte unbedingt auf der Intensivstation mitarbeiten, auf der er nach dem Unfall behandelt wurde. Erst künstliches Koma, dann Überlebenskampf – „ich war ja eigentlich nicht wirklich hier“. Peter wollte die Menschen kennenlernen, die ihm geholfen haben, und ihnen sagen, was sie für ihn getan haben. Er wollte sehen und verstehen, was in der Zeit als er „eigentlich nicht da war“, geschehen ist. „Und ich wollte eine Erfahrung machen, die mir einen Impuls geben kann.“ Er sei ja noch jung, sein Hirn könne weiter heilen. Er will sein Trauma verarbeiten.

Peter Maj hat sich entschieden. Er kriegt sein Leben auf die Reihe.

 

Info: Klinikum ist Traumazentrum

Im Traumanetzwerk Oberfranken übernimmt das Klinikum Bayreuth eine wichtige Aufgabe. Zwischen den umliegenden Krankenhäusern und den beiden regionalen Traumazentren in Bamberg und Bayreuth ist abgemacht, dass eine sofortige Hilfestellung oder Übernahme eines polytraumatisierten Patienten innerhalb von maximal 60 Minuten gesichert ist. Für schwerstverletzte Unfallopfer bedeutet dies eine schnellere Rettung und den Transport in eine optimal vorbereitete Klinik. Denn oftmals werden in den ersten Stunden nach einem Unfall die Weichen für den Behandlungserfolg gestellt.

Am Klinikum Bayreuth versorgt ein perfekt eingespieltes interdisziplinäres Team aus Anästhesisten, Unfall-, Bauch- und Neurochirurgen zeitgleich bis zu zwei schwerverletzte Patienten in einem speziell eingerichteten Schockraum. Während das Anästhesisten-Team Atmung und Kreislauf überwachen, erfolgt zeitgleich die Akutversorgung durch das chirurgische Team. Mittels Computertomographie wird der Patient vom Kopf bis zum Oberschenkel durchleutet. So können innerhalb weniger Sekunden Knochenbrüche und innere Blutungen erkannt und die Dringlichkeit der folgenden Behandlungsschritte festgelegt werden.

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