Wenn die Seele Bauchweh macht

| Klinik für Kinder und Jugendliche 

Zunehmend entpuppen sich körperliche Symptome wie Schwindel, Bauch- oder Kopfschmerzen, aber auch Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen als psychische oder psychosomatische Störung. Um diesen Kindern in der Bayreuther Kinderklinik eine umfassende Diagnostik und Therapie zu bieten, baute Professor Dr. Thomas Rupprecht, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Klinikum Bayreuth GmbH, gemeinsam mit Oberärztin Dr. Ines von der Osten-Sacken in den zurückliegenden Monaten die psychosomatische Versorgung auf.

Jetzt bekam die Klinik dafür die Zulassung vom Bayerischen Ministerium für Gesundheit und Pflege. „Wir sind sehr glücklich über diese Entscheidung. Denn die Psychosomatik ist heute ein sehr wesentlicher Baustein bei der ganzheitlichen Behandlung von kranken Kindern und Jugendlichen“, sagt Prof. Rupprecht. Mit den sechs Betten für Diagnostik und Behandlung psychosomatischer Krankheiten schließe man eine Versorgungslücke.

Er war körperlich gesund und hatte trotzdem Schmerzen

„Jahrelang hatte er immer wieder Bauchschmerzen“, erzählt Dr. von der Osten- Sacken von einem ihrer jungen Patienten. Nach umfassender Diagnostik war allerdings klar, organisch ist bei dem 13jährigen alles in Ordnung. In solchen Fällen zieht das Ärzteteam in der Kinderklinik Dr. von der Osten-Sacken zurate. Sie ist Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin und zusätzlich Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Darüber hinaus hat sie sich auf dem Gebiet der Psychotraumatologie und traumaspezifischen Psychotherapie spezialisiert. „Kinder und Jugendliche, die seelisch belastet sind, können sehr unterschiedliche Symptome zeigen“, sagt Dr. von der Osten-Sacken. Oft haben die Kinder über Jahre wiederkehrende Bauch- oder Kopfschmerzen ohne körperliche Ursachen. Manche leiden auch an Schwindel und wiederkehrenden Ohnmachtsanfällen oder Atembeschwerden. Fachexperten sprechen dann von somatoformen Störungen.

Kinder mit sogenannten dissoziativen Störungen, die vordergründig neurologisch erscheinen, kommen sehr häufig in die Klinik, sagt Dr. von der Osten-Sacken, die über zwei Jahrzehnte den Bereich Psychosomatik und Psychotherapie der Universitäts- Kinderklink Erlangen leitete. Dabei leiden Kinder unter Sensibilitätsoder Bewegungsstörungen oder sogar Anfällen. Die Eltern beobachten oft, dass ihre Kinder plötzlich ein Taubheitsgefühl an Gliedmaßen entwickeln, Sehstörungen haben oder das Gangbild verändert ist. Auch diese Veränderungen können eine Folge von ausgeprägten emotionalen Belastungen, wie Mobbing, körperlichen Gewalterfahrungen oder schwerwiegenden traumatischen Ereignissen, beispielsweise Unfällen, sein. „Viele Eltern wissen das nicht, erleben aber, wie ihr Kind unter Ängsten oder Schlafstörungen leidet, sich sogar zurückzieht oder nicht mehr in die Schule gehen will“, so Dr. von der Osten-Sacken. Immer wieder kommen auch Kinder und Jugendliche mit Essstörungen in die Kinderklinik, bei denen seelische Belastungen ursächlich sind.

Der Unfall brannte sich in sein Gehirn ein

Zunächst schöpfen die Kinderärzte und Kinderneurologen im Bayreuther Klinikum alle diagnostischen Möglichkeiten aus, um organische Ursachen auszuschließen. Erst dann stellt sich die Frage, ob ein Kind seelisch belastet ist. Bei ausführlichen Gesprächen mit Eltern und Kind sucht Dr. von der Osten-Sacken nach den Ursachen. „Wir nehmen uns viel Zeit, um den Hintergrund für das Störungsbild zu klären und binden dabei die Eltern eng mit ein. Gemeinsam stoßen wir auf ein auslösendes Ereignis oder dauerhafte Belastungen und die Kinder lernen, es richtig einzuordnen. Erst dann überlegen wir die nächsten Schritte“, sagt Dr. von der Osten-Sacken. Auch bei ihrem jungen Patienten mit Bauchschmerzen, half das Gespräch, die Ursache zu finden. Ein schwerer Unfall vor acht Jahren, bei dem er schwerwiegende Schnittverletzungen erlitt, brannte sich in seinem Gehirn ein. „Traumatische Erlebnisse lösen in unserem Gehirn Stress aus und aktivieren die eng miteinander verknüpften Trauma- und Schmerznetzwerke im Gehirn. Aufgrund dieser engen neuronalen Verknüpfung können langfristig chronische Schmerzen bestehen bleiben auch ohne dierekte körperliche Schmerzerfahrung. Darum entwickeln Kinder bei Mobbingerfahrungen Bauchweh.“

Wenn das traumatisch Erlebte nicht verarbeitet wird, was in 85 Prozent aller Fälle aber passiert, bleiben die Eindrücke im Gehirn erhalten und die Patienten haben immer wieder sogenannte Flashbacks, plötzliche Erinnerungen: „Sie riechen Brandgeruch ohne das es brennt oder haben plötzlich ein Bild vor Augen und reagieren mit Angst oder empfinden Schmerz.“

Heute hat er keine Schmerzen mehr

Mit einer traumaspezifischen Psychotherapie half Dr. von der Osten-Sacken ihrem jungen Patienten seinen früheren Unfall einzuordnen. Sie versetzte den Jungen nach entsprechender Vorbereitung in das Erlebte: „Denk daran, was damals passiert ist. Was hast Du gespürt? Welches Bild siehst Du? Was denkst Du immer noch?“ Das Gehirn schafft es das wieder aktivierte traumatische Erlebnis nochmals zu bewerten und in die richtige Zeit einzuordnen – in die Vergangenheit. Erst dann hört der als gegenwärtig erlebte Schmerz auf. „Heute ist der Junge schmerzfrei.“

Je nachdem, welche Ursachen, eine Störung hat, oder wie ausgeprägt sie ist, empfiehlt die erfahrene Ärztin und Psychotherapeutin eine individuelle Behandlung – stationär, ambulant oder in einer Spezialklinik. Damit stellt sie bereits von Beginn an die Weichen für eine sinnvolle Weiterbehandlung.

In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Klinikum Bayreuth GmbH reicht die psychosomatische Komplexbehandlung von Gesprächspsychotherapie über spieltherapeutische Behandlungen und Entspannungsverfahren bis hin zu speziellen traumaspezifischen Psychotherapien. Dafür bietet die Klinik mit einem ganzen Expertenteam ideale Voraussetzungen. In regelmäßigen Netzwerktreffen bringen alle ihre Expertisen aus der Pflege, Medizin, Psychotherapie, Ergotherapie, Krankengymnastik oder Pädagogik ein und besprechen gemeinsam die Behandlungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Zusatzangebot für Kinder mit Diabetes oder Epilepsie

Von dem neuen psychosomatischen Angebot profitieren auch Kinder, die aufgrund chronischer Erkrankungen, wie Diabetes oder Epilepsie, in der Bayreuther Kinderklinik behandelt werden. Immer bezieht Dr. von der Osten-Sacken dabei die Eltern mit ein: „Die chronische Erkrankung eines Kindes trifft die ganze Familie und wir helfen ihr, mit der Krankheit umzugehen, um präventiv Einfluss zu nehmen.“ Bei Bedarf wird das soziale Umfeld mit einbezogen – ambulante Ärzte, Psychologen, Kindergarten, Schule.

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Dr. Ines von der Osten-Sacken nimmt sich für Kinder, die seelisch belasten sind, viel Zeit, um den Ursachen auf den Grund zu gehen.