Zeit haben, um wertvolle Zeit zu schenken

| Palliativstation 

Die Möglichkeiten der Medizin werden immer größer, weil der Fortschritt in der Medizintechnik immens ist. Das rettet jeden Tag Leben. Auch die Palliativmedizin profitiert davon. Allerdings ist der Fokus ein anderer: Hier geht es vor allem um eines: Menschen sollen das Leben lebenswert finden – bis zum Ende. Klinikdirektorin Dr. Sabine Gernhardt spricht über die moderne Palliativmedizin. Sie sagt: „Wir wollen lebenswerte Zeit schenken“. Heute der zweite Teil des Interviews.

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Frau Dr. Gernhardt, was ist in ihren Augen das größte Missverständnis im Zusammenhang mit Palliativmedizin?

Gernhardt:
Dass sich bei uns alles um das Thema Tod und Sterben dreht. Wir sind keine Sterbestation, im Gegenteil. Dort, wo das Leben endlich ist, gewinnt es auch an Bedeutung. Bei uns wird geweint und getrauert, aber es wird auch gelacht und gefeiert. Es sollte für Freude und Trauer gleichermaßen Platz sein. Unsere Aufgabe ist es, Schmerzen und Beschwerden zu behandeln und in den Hintergrund zu drängen, um so eine Lebensperspektive zu schaffen, die unsere Patienten bis zum Ende trägt.

Was hat Corona in der Palliativmedizin verändert?

Gernhardt:
Gerade am Lebensende ist vielen Menschen Nähe – auch Trost durch Nähe – sehr wichtig. Schon ein Lächeln oder das Halten einer Hand kann unglaublich tröstlich sein. Die Corona-Zeit, in der vieles davon nicht möglich war, hat uns das erst wieder schätzen gelehrt. In dieser Zeit sind aus der Not heraus aber auch gute Ideen entstanden. Ein Beispiel: Wir haben versucht, Nähe, insbesondere zu den Angehörigen, auf andere Weise zu schaffen und haben in Zusammenarbeit mit unseren Therapeuten eine Trauermappe erstellt. Hier halten wir Erinnerungen fest, Bilder, Erlebnisse – manchmal auch ganz persönliche Erinnerungen. Die Mappe ist auch Ausdruck unserer Anteilnahme. Die Resonanz der Angehörigen darauf war unglaublich positiv. Das freut uns sehr – und die Mappe wird etwas Positives sein, dass uns aus der Corona-Zeit bleibt.

Welche Entwicklung sehen Sie in der Palliativmedizin für die kommenden Jahre?

Gernhardt:
Palliativmedizin rückt immer mehr in das Blickfeld einer ganzheitlichen und interdisziplinären Patientenversorgung – das ist bisher ein kleiner Schritt in eine gute Richtung. Lange Zeit haben wir beinahe ausschließlich onkologische Patientinnen und Patienten betreut. Dabei können nicht nur Krebspatientinnen und -patienten unheilbar krank sein. Es gibt zahlreiche Beispiele: Herzinsuffizienzen in der Kardiologie, Lungenerkrankungen wie COPD, oder das Endstadium einer Leberzirrhose – all diese Menschen können davon profitieren, wenn frühzeitig auch über palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten gesprochen wird. Meine Hoffnung ist es, dass Palliativmedizin nicht mehr gleichgesetzt wird mit einer medizinischen Versorgung in den letzten Lebenswochen oder sogar Tagen. Palliativmedizin kann und sollte früher ansetzen, früher ansetzen dürfen. Nicht, um die Menschen auf den Tod vorzubereiten, sondern, um ihnen eine Perspektive zu geben: auf weniger Schmerzen und ein gutes Leben – über Wochen, Monate oder auch Jahre. Palliativmedizin ist kein Todesurteil. Sie ändert nichts an der Diagnose – sie erweitert aber die Möglichkeiten, mit dieser Diagnose weiterzuleben.

Zur Erinnerung:

Die Palliativstation feiert 20-jähriges Bestehen. Am Mittwoch, 3. Mai, sind Angehörige, Interessierte und Mitarbeitende ab 17 Uhr herzlich ins Zentrum an der Äußeren Badstraße eingeladen.

 

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